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Wenn die Worte der jungen Ärztin wahr waren, bedeutete dies, dass seine Welt sich um 180 Grad gedreht hatte. Nichts würde sein wie zuvor.
Als Grace ihn ins Bett drückte und ihm die Hand auf die Schulter legte, begann er zu schluchzen. Er brauchte jetzt dringend jemanden, der ihm Halt gab. Die einzige Person, die ihm dazu noch einfiel und die vielleicht nachempfinden konnte, wie er sich fühlte, war seine Zwillingsschwester. "Amy... Ich brauche... Wo ist meine Schwester?" fragte er.

"Deine Familie ist auf dem weg hier her. Sie waren fast jeden Tag hier. Und als sie erfahren haben, dass du wach bist sind sie sofort erneut los."
Sanft lächelte sie ihn an. Doch gleichzeitig fragte sie sich wer amy sei. Seine Freundin? Das machte sie insgeheim ein wenig froh. Sie war nicht mit in dem Auto. Er hatte noch eine Person, die ihm halt gab, die ihn auffing wenn er fiel. Sie konnte sich sehr wohl vorstellen, dass er so eine Person nun am dringendsten brauchte.
"Morgen beginnen wir mit der Therapie damit du bald wieder richtig laufen kannst, ok?"
Mit einem sanften Streichler zog sie ihre Hand von seiner Schulter weg.
"Brauchst du für den Moment noch etwas?"


Seine Gedanken überschlugen sich bei den Neuigkeiten, die Grace ihm soeben überbracht hatte. Und jetzt wollte sie gehen? "Ich kann jetzt echt nicht alleine sein!" brach es aus ihm heraus. "Kannst du nicht hier bleiben?" Fast war es ihm peinlich, aber die Trauer, die er für seine Brüder empfand, überwog alles andere. Er fühlte sich, als würde er durchdrehen, wenn sie ihn jetzt allein ließ.

Sie war bereits aufgestanden, hatte noch ein paar Notizen auf seinem Klemmbrett hinterlassen und wollte soeben aus seinem Zimmer gehen. Schweren Herzens und mit Schuldgefühlen, die sich in ihrem Kopf überschlugen. Schuldgefühle darüber, dass er seine Brüder verloren hatte, dass er Menschen nie wieder sehen würde, die ihm am meißten bedeuteten. Und alles an was sie dachte ist, dass sie froh war, dass er es geschafft hatte, dass ihr erster richtiger Patient, an den sie von Anfang an geglaubt hatte, es geschafft hatte aus dem Koma zu Erwachen. Ein Erfolgserlebnis für sie, ein furchtbares für ihn...
Und es tat ihr so leid, so sehr, dass sie wahrscheinlich einfach aus Scham gehen wollte.
Aber jetzt, seine klägliche bitte, sein Hilferuf bei ihm zu bleiben ließ sie erstarren. Zum ersten mal kämpfte auch sie nun wirklich mit den Tränen. Sie drehte sich um zu ihm und schließlich nickte sie.
"Und du bist auch wirklich nicht müde?"
Sie setzte sich wieder an seine Seite und lächelte ihn aufmunternd an. Alles würde gut werden. Er musste nur daran Glauben...und sie auch...


Taylor war froh, als sie sich setzte. Alles war besser, als jetzt alleine zu sein. Eine Träne lief seine Wange herunter und er wischte sie weg.
"Nein, müde bin ich nicht. Scheinbar habe ich ja lange genug geschlafen..."
Er seufzte und holte tief Luft. "Kannst du mir irgendwas erzählen? Ich will jetzt nicht nachdenken über..." Er brachte es nicht über sich, das Unfassbare auszusprechen. "Vielleicht irgendwas über dich?"

Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seiner Schulter ab. Er sollte es auch gar nicht aussprechen. Sie wusste irgendwann würde er darüber reden müssen, irgendwann würde er es verstehen, es als ein Wunder sehen, dass er noch lebte. Vielleicht war es auch Schicksal. Sie wusste es nicht. Alles was sie aber wusste war, dass das Leben schon immer hart und ungerecht war. Letzteres vor allem anderen.
"Über mich?"
Leise seufzte sie und pustete sich ein paar Haare aus ihrer Stirn.
"Joah, ich bin relativ unspektakulär. Vor 3 Jahren habe ich mit dem Medizinstudium begonnen und ich liebe meinen Job. Zu sehen wie Menschen, wie du sich erholen. Menschen, die ich gerettet habe."
Begann sie nun und lächelte ihn dabei liebevoll an.
"Naja, ich brauchte irgendwie Veränderung. Früher wollte ich Sängerin werden. Zumindest hatte mir mein Ex immer gesagt ich hätte eine tolle Stimme. Und nein, ich werde jetzt nicht singen."
Sie lachte, ihre Wangen begannen rosa zu leuchten.
"Aber...wenn ich das getan hätte, wenn ich gesungen hätte, hätte ich dabei immer nur an meinen Ex denken müssen. Und das wollte ich nicht."
Sie leckte sich über die Lippen. In diese Richtung sollte das Thema "erzähle über dich" nicht unbedingt abweichen.


"Wenn du nur singst, weil es jemand anderes von dir möchte, solltest du es nicht tun, das stimmt. Musik muss Leben sein, wenn du es wirklich durchziehen willst. Mit meinen Brüdern -" Er brach den Satz ab und holte tief Luft, einen Punkt irgendwo hinter Grace fixierend. "Egal. Du hast mich also gerettet... Verzeih, dass es sich jetzt gerade noch nicht nach Rettung anfühlt..."
Unschlüssig, was sie jetzt von ihm erwartete, was er sagen sollte, sah er sich im Raum um. "Krankenhäuser sind immer so kalt. Man weiß sofort, wo man ist, auch wenn man keine Idee hat, wie man dort hingelangt sein könnte." Er blickte sie an. "Geht's dir nicht auch manchmal so, dass du die Kälte fühlst?"

Und wieder schweifte das thema ab. Sie wollte ihn doch eigentlich ablenken, eigentlich von etwas anderem erzählen. Wie konnte sie nur seine Gedanken auf etwas anderes bringen?
Sie nickte. "Oh ja, das kenn ich. habe ich oft. Wenn ich morgens aus der Nachtschicht komme, abgewaschenes Blut an meinen Händen von Menschen, die ich nicht retten konnte, junge Menschen....menschen mit einer Familie. Dann fühle ich sie..."
Ihre Stimme brach ab, doch sie blickte wieder auf, zuckte mit den Schultern.
"Das Leben geht immer weiter. Die gute Dinge überwiegen, das musst du dir vor Augen halten."
Sie schielte auf die Uhr, dann zu ihm.
"Möchtest du mal hier raus?"



Auf ihre Lippen huschte ein Grinsen entlang.
"Dann warte eine Minute."
Schwupp, verschwand sie zur Tür hinaus. Es war mittlerweile 23 Uhr Abends. Ein leichtes nun einen Rollstuhl zu entwenden und ihn zurück zu seinem Zimmer zu schieben.
"Komm."
Den Stuhl parkte sie direkt neben seinem Bett. Dann packte sie alle möglichen Schläuche, an die er gebunden war, ab und legte es unter den Sitz, damit es transportfähig war. Jetzt hielt sie ihm ihre schützenden Hände hin, die ihm sogleich in den Stuhl halfen. Sie lächelte und bedeckte ihn zum Schutz vor einer kühlen Nacht mit einer kleinen Decke, die sie ebenfalls aus dem Schwesternzimmer mitgebracht hatte.
"Ich kenne einen wunderschönen Ort."


Während sie ihm in den Rollstuhl half, fühlte Taylor sich hilfloser als je zuvor. Wie konnte es sein, dass er noch nichtmal in der Lage war, aus dem Bett aufzustehen? Was war in den letzten Wochen, oder waren es Monate, mit ihm passiert? Gleichzeitig wollte er an all das nicht denken, denn es bedeutete, auch an seine Brüder zu denken. Ohne seine Schwester an seiner Seite fühlte er sich nicht im Stande dazu.
Endlich saß er im Rollstuhl und Grace legte die Decke über ihn. "Danke. Ich muss hier echt mal raus... wie lange war ich hier im Zimmer? Ich habe das Gefühl, als hätte ich wochenlang keine frische Luft geatmet." Für einen Moment grinste er. "Wenn man's recht bedenkt, habe ich gar nicht geatmet, sondern die Maschine... Wo fahren wir jetzt hin?"


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